“Lass uns mal in deine Wunden schauen!”oder erzähl mal von deinen Rassismuserfahrungen
(1/2) Lass uns mal in deine Wunde schauen! Sie fragen mich: „Asma, was sind deine Rassismuserfahrungen? Hast du persönlich etwas rassistisches erlebt?“ Diese Frage bringt mich immer zum Nachdenken. Sie löst bei mir so ein Unbehagen und irgendeine Art Verwunderung in mir aus. Ich bekomme sie oft gestellt, eigentlich bei fast jedem Interview, in dem es um das Thema Rassismus geht. Ich bin dann kurz irritiert. Rassismus ist nämlich keine Story, kein Erlebnis, keine Geschichte. Aber… Aber ich bin ja da, um es zu erklären. Also muss ich liefern. Ich bleibe ruhig, halte inne und fange an: Was soll ich dir erzählen? Was willst du hören? Geht es darum, was du hören willst oder darum, was ich sagen möchte? Wo soll ich beginnen? Wo kann ich enden? Was kann die Person hören und wieviel ertragen? Warum willst du jetzt eine Geschichte hören als würde ich dir beweisen müssen, dass es Rassismus gibt? Wo soll ich überhaupt anfangen zu erzählen? Soll ich über das Neugeborene erzählen, das am ersten Tag seines Lebens mit einer Welle von Hass & Gewalt überschüttet wurde, weil es als Neujahrsbaby einen muslimischen Namen trägt? Oder soll ich von unseren Kindergärten erzählen, in denen Kleinkindern nicht erlaubt wird ihre Muttersprache zu sprechen? Sind vielleicht Volksschulkinder interessanter, die in segregierten Räumen „gefördert“ werden sollen? Kinder, die vor Schuleintritt wegen „ausländisch klingendem Namen“ in Sprachtests geschickt werden, sogar wenn ihre Eltern österreichische Uni-Abschlüsse haben? Wie wäre es mit LehrerInnen, die SchülerInnen nach ihrem Nachnamen und ihrer Herkunft benoten statt nach ihrer Leistung? Oder LehrerInnen, die „Ausländerkinder“ nicht ins Gymnasium lassen? Oder doch lieber von einer Generation von jungen Frauen, denen aufgrund eines Stückes Stoff Berufsverbote ausgesprochen werden? Denen dadurch der Zugang zum Arbeitsmarkt und damit auch ein selbstbestimmtes Leben verwehrt wird? Soll ich dir von die zig Bewerbungsabsagen erzählen, die Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihres Glaubens, ihres Namens, ihres Aussehens, ihres Kleidungsstils erhalten? (...)